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[Die hier in Teilen gezeigte Serie entstand auf Einladung der Körberstiftung, eine
Arbeit zum Thema „Phase 3, wie leben die Alten?“ für den Körber Foto Award 2005
zu entwickeln.]
Ein Zitat der Fotogeschichte würde, bezogen auf das vorgegebene
Thema, in abgewandelter – zugegeben etwas provokativer Form
lauten: Fotografien alter Menschen ergeben beinahe nichts über deren
Lebenswelt.(1)
Neben der Begeisterung an der fotografischen Exaktheit, allen Katalogisierungs-
und Klassifizierungsprojekten, sind die Zweifel an der
Erkenntnisfähigkeit der Fotografie so alt wie das Medium selbst.
Von derlei Zweifeln geleitet wählte Jacob Riis für seine Arbeit „How
the Other Half Lives“, die auch als Anfang der Dokumentarfotografie
im herkömmlichen Sinne betrachtet wird, seine Sujets, und aus
den entstandenen Aufnahmen die zu veröffentlichenden, ganz bewusst,
nach der von ihm beabsichtigten Wirkung aus.(2)
Das Projekt der Farm Security Administration in den 30er Jahren
des 20. Jahrhunderts war ebenso bestrebt ausschließlich Bilder
von „würdigen Armen“ zu zeigen, um Unterstützungsbereitschaft
für die Politik des New Deal zu mobilisieren. Die Wirkungsweise
von Fotografien beruht dabei zu einem großen Teil auf dem Prinzip
der Empathie. Der Fotograf nimmt seinem Objekt gegenüber eine
mitfühlende Haltung ein, der Betrachter glaubt sein Gegenüber
im Bild erkennen zu können: Wie sie oder er sich fühlt, und was
für eine Art von Mensch er dort zu sehen bekommt, versucht er
in Mimik, Körpersprache usw. zu erkennen. Aber auch peripherere
Bestandteile des Bildes wie die Szenerie, in der das Gesehene stattfindet
und die Herstellungsweise bzw. Oberfläche des Bildes (Farbe,
schwarz/weiß, Helligkeit, Kontrast, etc.), kurz die Gesamtstimmung,
wirkt auf die Rezeption ein.
Tatsächlich sehe ich so jedoch immer nur Dinge, die ich bereits
kenne, von denen ich „ein Bild“ habe. Trotz der allgemeinen Zweifel
an der Faktizität fotografischer Bilder, die der postmoderne Diskurs
und digitale Manipulation mit sich gebracht haben, ist diese
Wirkungsweise von Fotografien nach wie vor präsent. Auf den
Kunstmessen erleben dokumentarische Ästhetik und Sichtweisen
eine wahre Renaissance. In seinem Text über die Fotografie "Eine
illegitime Kunst“ schreibt der französische Soziologe Pierre Bourdieu:
„Indem sie der Photographie Realismus bescheinigt, bestärkt die
Gesellschaft sich selbst in der tautologischen Gewissheit, dass ein
Bild der Wirklichkeit, das der Vorstellung entspricht, die man sich
von der Objektivität macht tatsächlich objektiv ist."(3)
So gesehen scheint es, auf die Themenstellung übertragen, schwer,
eine andere Lebenswelt alter Menschen in Bilder zu fassen als die,
die ich bereits zu kennen meine. Auch der Versuch einer einfühlenden
Sicht müsste, da ich als jemand, der im Prozess des Alterns
noch relativ am Anfang stehe Alter folglich nur von äußerer Betrachtung
her kennen kann, an der Oberfläche hängen bleiben.
Ich arbeite inszenatorisch. Machte ich nun eine Aufnahme, die etwa
einen alten Menschen beim Enten füttern zeigt, nach welchen Kriterien
suchte ich mein Modell aus, wie ließe ich es posieren? Der Rezipient
hingegen würde sein eigenes Bild von Alter in die Betrachtung
einfließen lassen. Diese wäre wiederum von Empathie beeinflusst:
die Falten und Altersflecken im Gesicht der Person, ihre gebückte
Haltung, all das erzählte ihm von gelebtem Leben. Ein Bild einer in
ihrem Wohnzimmer allein tanzenden alten Dame würde vielleicht
eine melancholische Bewegtheit in ihm auslösen, aber wie könnte er
diese Informationen und Empfindungen, die ihm das Bild gibt vom
Konkreten ins Allgemeine kehren? Was würde es für ihn darüber
hinaus bedeuten zu wissen, dass diese Bilder nicht "echt" in einem
dokumentarischen Sinn sind?
Ein von mir angefertigtes Bild könnte also auf nichts Allgemeines,
in der Realität außerhalb seiner selbst Existentes verweisen, was
eine derart konkrete Frage, wie die nach der Lebenswelt alter Menschen
beantwortet.
Ist es aber innerhalb einer fiktionalen Arbeitsweise überhaupt möglich,
etwas Allgemeines über Realität auszusagen?
Mein Versuch besteht darin, das Prinzip der Konstruktion auf die
Spitze zu treiben, indem ich das, was vorhanden ist, das Allgemeine,
Vorstellungen und Bilder möglicher Lebenssituationen alter Menschen,
nehme, und das Konkrete, den tatsächlich alten Menschen
durch einen Platzhalter ersetzte.
An die Stelle der eigentlichen Protagonisten stelle ich mich selbst,
meine Anteilnahme, die Empathie am Abgebildeten wird so buchstäblich.
Dabei agiere ich in den Szenen in einem gerontologischen
Anzug, der für Produkttests entwickelt wurde und für jüngere Tester
die körperlichen Einschränkungen älterer Menschen simuliert.
So verlieren die fotografierten Situationen alles anekdotische, die
Handlung wird zu einer reinen Geste. Es handelt sich um eine Art
Verfremdungseffekt, um mit dem Urheber des zu Anfang genannten
Zitates zu sprechen.
Durch die Maskierung wird die Person im Bild entmenschlicht und
eine Identifizierung mit ihr erschwert. Die Bedeutung des Betrachters
bei der Sinnkonstruktion wird so offensichtlich. Mit der Rätselhaftigkeit
der Bilder konfrontiert ist der Betrachter herausgefordert
diesen eigenen Beitrag bewusst zu leisten. Ein reines Anteilnehmen
und „Sich in die Rolle versetzen“ ist so nicht mehr möglich, vielleicht
eröffnet sich aber eine umfassendere Sicht auf die tatsächlichen
und möglichen Lebenssituationen alter Menschen und das
Bild, das wir von diesen haben und uns machen.
(1) Bertold Brecht: „ … Eine Photographie der Kruppwerke oder der A.E.G. ergibt fast nichts
über diese Institute. … “, zitiert nach Walter Benjamin, Kleine Geschichte der Fotografie,
in: ders., Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt a.
M.: Suhrkamp 1963
(2) Die angesprochene Arbeit fertigte Jacob Riis 1887 als Bildteil seiner Schrift „How the
Other Half Lives“ an. Darin behandelt Riis, mit reformatorischem Ansatz, die
Lebensumstände der Masse der damals in New York lebenden armen und
unintegrierten Neueinwanderer.
(3) Pierre Bourdieu, Eine illegitime Kunst, übers. V. Udo Rennert,
Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1983 |